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Stellungnahme zur Änderung der Arzneimittelrichtlinie in Anlage III: Glitazone zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2
Scholz, GH, Schulze J, Hanefeld, M, Fischer S, Rothe U für die Fachkommission Diabetes der SLÄK Sehr geehrte Damen und Herren, die Fachkommission Diabetes SLÄK ist ein berufenes Organ der Sächsischen Landesärzte- kammer. Als eines der ersten Expertengremien in Deutschland erstellten wir eine, von vielen anderen LÄK übernommene Praxisleitlinie für Diabetiker, und setzten diese im Freistaat Sachsen auf breiter Basis mit Hausärzten und Spezialisten um. Die guten Ergebnisse dieser Aktivitäten wurden in einer hochwertigen Zeitschrift international publiziert (Rothe 2008). Auf der Basis dieser langjährigen Behandlungskompetenz für Diabetiker möchten wir Sie im Interesse unserer Patienten bitten, den geplanten Verordnungsausschluss der Glitazone auf der Basis folgender Argumente nicht zu realisieren.
A) Wirkungsmechanismus 1. Glitazone haben einen völlig anderen Wirkungsmechanismus als alle anderen oralen Antidiabetika und sind deshalb wirkungsgleich nicht ersetzbar. B) Kardiovaskuläre Endpunkte
1. Bezüglich kardiovaskulärer Endpunkte bei Patienten mit längerer Diabetesdauer liegen nur für Pioglitazon (PROactive-Studie und Metaanalyse weiterer klinischer Studien) Daten vor, die nach relativer kurzer Therapiedauer und moderater HbA1c-Reduktion (PROactive-Studie: - 0,4 HbA1c % vs. Placebo) eine Reduktion des kombinierten Endpunktes von Gesamtmortalität, nichttödlichem Herzinfarkt und Schlaganfall sowie eine Reduktion von Schlaganfallrezidiven belegen (Charbonnel 2004, Dormandy 2005, Erdmann 2007a,b,c, Lincoff 2007, Wilcox 2007 und 2008). 2. Auch im IQWIG-Bericht werden diese Ergebnisse durchaus korrekt bewertet. Allerdings impliziert der in der Zusammenfassung später dafür verwendete Begriff „Hinweis“, dass für einen „Beleg“ eine weitere völlig gleiche Studie notwendig sei, die zum gleichen Ergebnis führen muss. Bei den sehr deutlichen Unterschieden z.B. bei Schlaganfallrezidiven (5,6% mit
Pioglitazon vs. 10,2 % mit Placebo), wäre aber eine Studienwiederholung ethisch nicht vertretbar (zumindest für diese Patientengruppe), hier sprechen wir als erfahrene Studienärzte . Weder für Metformin (nur neu diagnostizierte Diabetiker in UKPD-Studie), noch für Sulfonylharnstoffe, Alphaglukosidaseinhibitoren, Glinide, Gliptine oder GLP-1 Analoga gibt es zur PROactive-Studie vergleichbare Daten. Dementsprechend werden als Beleg für die Überlegenheit anderer Therapieformen d.h. für eine „alternative Behandlung“ bezüglich kardiovaskulärer Endpunkte auch im IQWIG-Bericht korrekterweise keine Studien zitiert. Da nur für Pioglitazon eine entsprechende positive Studie existiert, muss auch und gerade wegen der Notwendigkeit einer evidenzbasierten Medizin, die Pioglitazontherapie eine Hauptsäule neben der Metformintherapie für bestimmte Patientengruppen bleiben. 3. In der im Juni 2009 publizierten RECORD-Studie wurde auf der Basis gleicher Raten für einen zusammengesetzten Endpunkt aus kardiovaskulärer Mortalität bzw. Hospitalisation aus kardiovaskulärer Ursache für Kombinationen aus Rosiglitazon und Metformin bzw. Sulfonylharnstoff gegen eine Kombination aus Metformin und Sulfonylharnstoff die Nichtunterlegenheit von Rosiglitazon nachgewiesen, mit einer statistisch allerdings jeweils nicht signifikant geringeren Rate an kardiovaskulären Todesfällen, Schlaganfällen und Amputationsraten bei ebenfalls nicht signifikant höheren Raten an Herzinfarkten, jedoch signifikant höherer Anzahl an Herzinsuffizienzen (s. unten). Aus einer Subgruppenanalyse lässt sich vorsichtig ableiten (p = 0,055), dass Patienten mit ischämischer Herzkrankheit weniger von einer Rosiglitazontherapie profitieren, eine Information die in entsprechende praktische Hinweise münden könnte. Allerdings wiesen die Patienten unter Rosiglitazon eine bessere Blutzuckereinstellung (HbA1c: -0,2 %) auf, deren langfristige Effekte auf makro- und mikrovaskuläre Komplikationen mit dieser Studie noch nicht bewertet werden können. 4. Auch die gerade publizierte 5jährige BARI 2D-Studie (Frye RL et al. 2009), bei der 2368 Patienten mit Typ 2 Diabetes mellitus und stabiler ischämischer Herzkrankheit stratifiziert nach der Notwendigkeit einer koronaren Bypass-Operation bzw. einer perkutanen koronaren Intervention und jeweils randomisiert nach Realisierung des operativen bzw. interventionellen Eingriffes bzw. einer medikamentösen Therapie entweder mit einer Kombination aus Metformin plus Glitazon oder einer Therapie mit Insulin und Sulfonylharnstoff zugeordnet wurden, zeigten bezüglich der primären Endpunkte Tod bzw. dem zusammengesetzten Endpunkt aus Tod, Herzinfarkt oder Schlaganfall keinen Nachteil der Kombination aus Metformin und Glitazon (überwiegend Rosiglitazon). Zudem waren der HbA1c-Wert, der BMI und die Hypoglykämierate bei dieser Therapie signifikant niedriger und der HDL-Cholesterinwert und der Anteil der Patienten die ihre Zielwerte für HbA1c, LDL-Cholesterin und Blutdruck erreichten, signifikant höher als in der Insulin/Sulfonylharnstoffgruppe. Für Rosiglitazon ist bei Betrachtung der oben genannten kardiovaskulären Endpunkte in der Kombination mit Metformin zumindest eine Gleichwertigkeit gegenüber anderen Therapieformen abzuleiten. Da sowohl in der RECORD- als auch in der BARI 2D-Studie wesentliche andere Risikofaktoren mit dieser Kombination signifikant geringer waren (z.B. bessere Blutglucosewerte, geringere Hypoglykämieraten) ist bei längerer Therapiedauer ein Vorteil dieses Glitazons auch bezüglich makro- und mikrovaskulärer Komplikationen zu erwarten.
C) Hypoglykämien Hypoglykämien sind schwerwiegende Ereignisse mit z.T. akuter vitaler Gefährdung. Sie erhöhen das kardiovaskuläre Risiko, tragen mit größter Wahrscheinlichkeit zur Demenz bei und verursachen erhebliche Einschränkungen der Lebensqualität von Patienten und Angehörigen (Whitmer 2009). 1. Korrekt bewertet wurde im IQWIG-Bericht die deutlich geringere Hypoglykämierate einer Kombination aus Pioglitazon und Metformin versus Sulfonylharnstoff und Metformin bei gleicher oder stärkerer Blutzuckersenkung mit der Pioglitazon/Metformin-Kombination. Das IQWIG kommt deshalb im Abschnitt 6.12 seines Berichtes korrekterweise zu dem Schluss „ Von Bedeutung ist vielmehr, wie in der PERISCOPE-Studie gezeigt, dass die stärkere Blutzuckersenkung unter Pioglitazon im Vergleich zu Glimepirid nicht mit einer erhöhten Hypoglykämierate, sondern im Gegenteil mit einer niedrigeren Rate auch schwerer Hypoglykämien verbunden war. Hieraus ergibt sich ein direkter patientenrelevanter Zusatznutzen gegenüber den Sulfonylharnstoffen.“ 2. Auch für Rosiglitazon in Kombination mit Sulfonylharnstoff bzw. Metformin wurde eine stärkere Blutzuckersenkung im Vergleich zu Placebo bei verringerter Hypoglykämierate nachgewiesen und vom IQWIG auch akzeptiert. Dies galt auch bei vergleichbarer Blutzuckersenkung für eine Kombination aus Rosiglitazon und Metformin im Vergleich zu Sulfonylharnstoff und Metformin. Im Vergleich zu einer Kombinationstherapie aus Insulin glargin, Sulfonylharnstoff und Metformin war die Kombination aus Rosiglitazon, Sulfonylharnstoff und Metformin mit weniger Hypoglykämien assoziiert. Die geringere Hypoglykämierate im Vergleich zu anderen OAD bzw. Sulfonylharnstoffen ist ein wesentlicher und sicher belegter Vorteil der Glitazone in der Behandlung von Typ 2- Diabetikern ist. D) Verlängerung der OAD-Phase der antidiabetischen Therapie und Reduktion der Insulindosis unter Pioglitazon Die PROactive-Studie zeigt auch, dass durch den Einsatz von Pioglitazon die vom Patienten häufig zunächst nicht gewünschte Insulintherapie zeitlich zurückgestellt werden kann, ein Fakt, der auch ökonomisch relevant ist. Eine neuere Studie zeigt außerdem, dass mit einer Kombinationstherapie aus Pioglitazon und Insulin bei Patienten mit Kontraindikationen oder Unverträglichkeit für Metformin sowohl eine bessere Blutzuckereinstellung (HbA1c – 1% gegenüber Ausgangswert) als auch eine Reduktion der notwendigen Insulindosis um 22% möglich ist (Lundershausen R et. al. 2009). Ein aufschiebbarer Einsatz von Insulin und/oder die Verwendung niedrigerer Insulindosen sprechen für die Erhaltung der Glitazone (hier Pioglitazon) als Therapieoption. E) Anwendbarkeit von Glitazonen (Pioglitazon) bei Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz Es gibt außer für Pioglitazon (GFR ≥ 4 ml/min/1.73 m², Fachinformation 2007) kein anderes vom IQWIG betrachtetes orales Antidiabetikum, dass bei schwerer Niereninsuffizienz für eine Therapie zugelassen ist (Kreatinin-Clearance: Acarbose bis ≥ 25 ml/min, Rosiglitazon bis ≥ 30 ml/min, bei niedrigerer Clearance liegen nur begrenzte Studienergebnisse vor, Anwendung sollte mit Vorsicht erfolgen, Glibenclamid: nicht bei schwerer Einschränkung der
Nierenfunktion, Glimepirid: bei schweren Nieren- und Leberfunktionsstörungen ist ein Wechsel auf Insulin erforderlich, Gliquidon: nicht bei schwere Einschränkung der Nierenfunktion). Nateglinide ist nur in der Kombination mit Metformin zugelassen, welches bei Nierenfunktionstörung kontraindiziert ist, bei Repaglinide ist eine Dosisanpassung erforderlich. Pioglitazon ist als einziges OAD bei schwerer Niereninsuffizienz einsetzbar. F) Andere für die Diabetesprogression bzw. für Morbidität und Mortalität relevante Faktoren Für eine Vielzahl von Stoffwechsel- und morphologischen Parametern (Nüchterninsulin, Proinsulin, HOMA-IR, HOMA-B, CLAMP-IR, CRP, Adiponektin, HDL-Cholesterin, Triglyzeride, PAI-1, Leberfettgehalt, Leberfibroseaktivität) ist ein Zusammenhang mit einer schnelleren Diabetesprogression sowie einer erhöhten Morbidität und Mortalität von Typ 2- Diabetikern gesichert, wahrscheinlich oder möglich (HTA-Bericht 2008). Unter beiden Glitazonen kommt es gegenüber Placebo und auch im Vergleich zu anderen oralen Antidiabetika zum Teil zu einer deutlichen Besserung, wie bereits der HTA-Bericht 2008 zusammenfassend belegt. Außerdem verzögern Glitazone beim Monotherapievergleich mit Metformin und Glibenclamid signifikant das Betazellversagen (Rosiglitazon, ADOPT-Studie). Zudem konnte außer für Pioglitazon bisher für kein anderes Antidiabetikum im Vergleich zu einem anderen OAD (hier Glimepirid) zweifelsfrei in einer großen randomisierten Studie ein Rückgang der Intima-Media-Dicke bei Typ 2-Diabetikern belegt werden (PERISCOPE-Studie). Glitazone weisen viele positive Effekt auf metabolische und morphologische Parameter auf, die längerfristigen Nutzen bei der Prävention makro- und mikrovaskulärer Folgeschäden sowie bei der Hemmung der Progression des Typ 2-Diabetes nahe legen. G) Unerwünschte Ereignisse Sowohl für Pioglitazon als auch für Rosiglitazon war die Rate unerwünschter Ereignisse im Vergleich zu den oben genannten Kontrollgruppen nicht wesentlich verschieden. Auch dieser Fakt wird vom IQWIG korrekt dargestellt. Ödeme Einige Patienten neigen unter beiden Glitazonen zur Bildung von Ödemen. In den dokumentierten Studien fand sich bezüglich der Häufigkeit jedoch nicht immer ein statistisch gesicherter Zusammenhang zur Glitazontherapie. Wir beenden in der Regel beim Auftreten von Ödemen die Glitazontherapie, die nach Absetzen der Medikation oder auch bei sehr niedrig dosierter diuretischer Therapie reversibel sind. Übergewicht Außer beim Vergleich mit einer Insulintherapie und bei Sulfonylharnstoffen lässt sich eine allerdings moderate Erhöhung des Körpergewichts unter beiden Glitazonen im Vergleich zu allen anderen Antidiabetika feststellen. Wir weisen unsere Patienten auf diesen möglichen Effekt hin und beenden die Glitazontherapie bei massiver Gewichtszunahme. Kardiale Ereignisse Für das häufigere Auftreten einer leichten Form der Herzinsuffizienz fand sich in der PROactive-Studie ein Hinweis, allerdings traten schwere oder tödliche verlaufende Formen der Herzinsuffizienz weder in der PROactive noch in der PERISCOPE-Studie auf. Frakturen Das statistisch gesicherte, leicht erhöhte Risiko für Frakturen bei Frauen nehmen wir durchaus ernst. Hier sollten uns Forschungen zur Ermittlung von Risikogruppen helfen, Frauen mit einem erhöhten Frakturrisiko von der Glitazontherapie auszuschließen. Zusammenfassung Im Unterschied zu Ihrer derzeitigen Auffassung, überwiegen auf der Basis der oben genannten Argumente und unserer inzwischen vieljährigen Erfahrungen mit beiden Glitazonen die Vorteile einer kardiovaskulären Risikoreduktion bei gleichzeitig geringerer Hypoglykämierate und häufig besserer Blutzuckereinstellung im Vergleich zu Placebo und anderen OAD die Nachteile der zunehmend besser einschätzbaren und vermeidbaren Risiken. Hinweise für eine höhere Therapiezufriedenheit mit deutlich geringeren Einweisungen ins Krankenhaus bzw. in die Notaufnahme bei über 60jährigen Patienten bei Rosiglitazon- im Vergleich zu einer Sulfonylharnstofftherapie (RESULT-Studie), korrekt zitiert im IQWIG- Bericht, sowie eine positive Kosten-Effektivitäts-Analyse für Pioglitazon (HTA-Bericht 2008) sprechen für eine Glitazontherapie bei bestimmten Patientengruppen
− entweder in Monotherapie (bei Metforminunverträglichkeit) − in Kombination mit Metformin oder
− in Kombination (von Pioglitazon) mit Insulin.
Präsident der SLÄK und Vorsitzender der Fachkommission Diabetes
Literaturliste In der Literatur (alphabetische Ordnung) und in der Anlage finden Sie nur die neuen Literaturzitate und Originalarbeiten im Volltext, die nicht im Abschlussbericht des IQWIG bzw. im HTA-Bericht 2008 zitiert wurden. Feldbezeichnug
Frye RL; August P; Brooks MM; Hardison RM; Kelsey SF; MacGregor JM; Orchard TJ; Chaitman BR; Genuth SM; Goldberg SH; Hlatky MA; Jones TL; Molitch ME; Nesto RW; Sako EY; Sobel BE
Home PD; Pocock SJ; Beck-Nielsen H; Curtis PS; Gomis R; Hanefeld M; Jones NP; Komajda M; McMurray JJ; RECORD Study Team
Rosiglitazone evaluated for cardiovascular outcomes in oral agent combination therapy for type 2 diabetes (RECORD): a multicentre, randomised, open-label trial
Lundershausen R; Grüneberg M; Heddaeus H; Kröger J; Schönauer M; Karaglannis E.
Kombinationstherapie von Insulin und Pioglitazon
bei Typ 2-Diabetikern: Zwischenauswertung einer nicht interventionellen Studie
Rothe U; Müller G; Schwarz PE; Seifert M; Kunath H; Koch R; Bergmann S; Julius U; Bornstein SR; Hanefeld M; Schulze J.
Evaluation of a Diabetes Management System based on Practice Guidelines, Integrated Care and Continuous Quality Management in a Federal State of Germany: a Population-based Approach to Health Care Research
Hypoglycemic Episodes and Risk of Dementia in Older Patients With Type 2 Diabetes Mellitus
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